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Unser Filmerbe ist in Gefahr – eine Petition

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2013_logo_kopf64hÜber den Zugang zum Filmerbe, seine Sicherung und Lagerung.

Unsere Film- Archivarinnen und -Archivare stehen zunehmend verunsichert vor ihrem Archivgut, den bewegten Bildern. Es stellt sich die Frage, was das eigentlich für ein Medium ist, das nicht aufhören will, immer neue technische und ästhetische Facetten zu offenbaren und immer neue Trägermaterialien zu beanspruchen. Sein erster famoser Auftritt liegt so weit zurück wie die französische Revolution und machte bezeichnenderweise unter dem Label „Geisterbilder“ Furore. Die wurden von Robertsons Laterna Magica in Paris auf Rauchwolken projiziert. Zunächst schüchtern und sporadisch verließen damals die bewegten Bilder als „Geisterbilder“ die Wände der sakralen und bürgerlichen Architektur, ebenso wie das Papier, die Leinwand, den Marmor und die Museen. Seitdem haben sie sich wie ansteckende Viren das jeweils technisch modernste Medium ihrer Zeit als Wirt ausgesucht und dabei stets an Macht und Fülle gewonnen. Nachdem die bewegten Bilder jetzt dabei sind, nach den Glasplatten der Laterna Magica, nach dem Zelluloid-Stummfilm auch das Azetat-Kino und die analogen Videoformate als sterbliche Hüllen hinter sich zu lassen und stattdessen die digitale Welt zu erobern, ist es an der Zeit, für ihre Archivierung und Sicherung eine neue Strategie und Begrifflichkeit zu testen. Technisch reproduzierbar sind alle Kunstwerke, aber nur die bewegten Bilder unter ihnen existieren ausschließlich in der technischen Reproduktion und als Projektion, das ist ihr Wesen.

Archive definieren grundsätzlich ihre Deposita nach Physik und Chemie ihrer unterschiedlichen Trägermaterialien, ohne beim bewegten Bild von dieser bewährten Praxis abzuweichen. Aber wenn es die Überlebens- und Fortpflanzungs-Strategie der bewegten Bilder ist, jeweils das zur Zeit potenteste technische Vervielfältigungsmedium zu befallen und für sich zu reklamieren, bedeutete dann Archivieren nicht, die unterschiedlichen historischen Trägermaterialien lediglich als sterbliche Hüllen zu betrachten und zur Speicherung immer das modernste auszuwählen? Das könnte vielleicht statt der mit Magnetband-Laufwerken (z. B. „LTO’s”) und Festplatten bestückten digitalen Archive eines Tages ein Netzwerk von kleinen Kristallen und schließlich auch ein Zusammenschluss menschlicher Gehirne sein; denn die „Geisterbilder“ befinden sich auf dem Weg zur Allgegenwärtigkeit. Doch dieser Strategie der lebenden Bilder bedingungslos zu folgen, wie es die aktuelle Filmproduktion tut, hieße, die verderblichen historischen Bildträger sich selbst zu überlassen. Um unser Filmerbe in allen Erscheinungsformen möglichst verlustfrei zu sichern, müssen wir einen anderen Weg finden.

Wenn das bewegte Bild sein Medium wechselt und dabei die alte analoge Hülle abstreift, um eine neue digitale zu beziehen, geschieht das nicht verlustfrei. War es doch mit seinen Wirten, den frühen Kunststoffen Nitrozellulose (Zelluloid) und Zellulose-Tri-Azetat, sowie den damit verbundenen analogen Aufnahme- und Verfahrenstechniken für einen Zeitraum von etwa hundert Jahren eine symbiotische Beziehung eingegangen, in der technische Möglichkeiten und ästhetische Innovationen sich bedingten und so Bestandteil des Bildinhalts wurden. Auch wer lediglich für die Filmerzählung, den narrativen Inhalt, aufgeschlossen ist, wird den Unterschied beim Übergang von einem Medium in das andere bemerken. Er wird das organische Pulsieren der analogen Bildprojektion und ihre zitternde Unruhe vermissen – das Erbe der flüchtigen „Geisterbilder“. Jeder analoge Film trägt darüber hinaus die technischen Umstände seiner Entstehung mit sich. Die Bedingungen des Aufnahmematerials und der Filmtechnik schufen zusammen mit den Entscheidungen der Regisseure, der Kameramänner, Cutter, Lichtbestimmer, etc. den Film-Stil. So dominiert in Spanish Earth ein eindrucksvoller „lapidarer“ Schnittrhythmus, entstanden einerseits als Produkt der Unfähigkeit von Joris Ivens‘ Bell&Howell-Federwerk-Kamera, Szenen über eine Länge von 15 bis 20 Sekunden hinaus zu filmen, und andererseits als Produkt der Fähigkeit des Regisseurs und Kameramanns Joris Ivens, daraus ein bewusstes Stilmittel zu machen. Die meisten dieser technisch/ästhetischen Entstehungsmerkmale lassen sich auch noch in der digitalen Kopie eines analogen Films lesen. Jene Informationen aber, die in der Projektion unsichtbar bleiben und das Trägermaterial, die Bildschicht, ihre Verarbeitung und den Zustand des Filmstreifens betreffen, gehen verloren. Die Verlustliste umfasst nicht nur die im Material selbst enthaltenen chemischen und technischen Informationen. Verloren gehen auch Beschriftungen an Schnittstellen, am äußersten Rand oder zwischen der Perforation, die Form und Präzision der Perforationslöcher, die Auskunft zur Datierung geben können, aber auch die jedem Filmmaterial eigene Material-Ästhetik, wie sie in letzter Zeit immer häufiger durch den Abdruck einzelner Filmschnipsel in Fachzeitschriften dokumentiert wird.

Alle analogen Kopiervorgänge, auch die auf speziellen Duplikatfilm, bringen Verluste mit sich. Prinzipiell verlustfrei ist nur die digitale Vervielfältigung von digitalem Ausgangsmaterial. Innerhalb des gut hundert Jahre lang einwandfrei funktionierenden analogen Film-Modells, das während seiner Lebensdauer lediglich technisch ausdifferenziert wurde, gab es die höchsten Verluste beim Umkopieren von einem Materialtyp auf den nachfolgenden und von einem Bildformat in ein anderes. In den Zehner Jahren des 20. Jahrhunderts z. B. liebte man bei Filmnegativen eine kräftige Durchzeichnung und eine steile Gradation, die in den Kopien die lästigen Negativ-Schrammen unterdrückten und bei der Projektion der Nitrozellulose-Kopien ein leuchtendes Weiß und, mit einer schmalen Grau-Skala dazwischen, ein tiefes samtenes Schwarz erzeugten. Diese Kopien eigneten sich auch hervorragend für eine intensive Einfärbung im Tauchbad (Tinten, Tonen, Virage). Ihre typische Anmutung ging indes beim Umkopieren der erhalten gebliebenen Filmkopien auf modernen Farbfilm verloren, da die modernen Emulsionen nicht in der Lage waren, die Intensität der Einfärbungen und den durch das glasklare Nitrozellulose-Trägermaterial strahlenden Kontrast der Original-Kopien korrekt wiederzugeben. Dabei waren es diese Farbkopien aus den achtziger Jahren, die zum ersten Mal einen Eindruck von der originalen Ästhetik der Filme aus den Zehner Jahren vermittelten, deren einzigartige Anmutung sich aber ironischerweise erst wieder in der digitalen Projektion digitaler Kopien entfalten kann.

Um die kostbaren 35mm-Kopien seiner Sammlung deutscher Stummfilme zu schonen und dennoch für alle Interessierten den Zugang zu seinen Schätzen offen zu halten, ließ der Berliner Regisseur Gerhard Lamprecht schon in den dreißiger Jahren von einem bedeutenden Teil seiner Sammlung schwarzweiße Verkleinerungskopien im 16mm- „Amateur“-Schmalfilm-Format herstellen. Unglücklicherweise verbrannten die meisten seiner  35mm-Unikate an ihrem als „sicher“ eingeschätzten Auslagerungsort, während die qualitativ minderwertigen 16mm-Ansichtskopien erhalten blieben und nach dem Krieg den Grundstock der „Stiftung Deutsche Kinemathek“ bildeten. So kam es, dass sich in den Köpfen einer ganzen filminteressierten Generation mit dem deutschen Stummfilm die Vorstellung eines leicht unscharfen und farblosen Universums in Grau verband. Erst nach und nach konnten farbige, meist ausländische Kopien dieses Vorurteil korrigieren. In den fünfziger Jahren lockte die Cinémathèque Française als cinéastischer Wallfahrtsort dagegen mit der Projektion der originalen Kopien. Henri Langlois projizierte dort seine Sammlung, darunter die deutschen Stummfilmklassiker, „ohne Rücksicht auf Verluste“, wie man heute kritisch anmerken muss, schuf aber so die filmhistorische Basis für das französische Autorenkino der „Nouvelle Vague“ und für eine europäische, an der projizierten Originalkopie geschulte Filmwissenschaft. So zeigt sich das Dilemma zwischen den Fragen „Wie mache ich das historische Material zugänglich?“ und „Wie sichere ich die kostbaren Originale zuverlässig für die kommenden Jahrhunderte?“ bereits in den Anfängen der Filmarchivierung. Die strenge Trennung zwischen Zugang und Sicherung, wie sie sich in Gerhard Lamprechts Archivpraxis andeutet und heute in allen Film-Archiven für den Umgang mit dem historischen Filmmaterial Standard ist, zeigt auch für die anstehende Digitalisierung der Bestände den einzigen vernünftigen Ausweg aus diesem Dilemma.

Dass sich die lebenden Bilder wie ausschließlich an ihrer Fortpflanzung interessierte ansteckendende Viren verhalten, erklärt ihr Streben nach Allgegenwärtigkeit. Um nicht hilflos in dieser Flut zu ertrinken, müssen wir die von den lebenden Bildern hinterlassenen sterblichen Hüllen der Filme aus den frühen Jahren, wie auch die aus der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, sorgfältig konservieren und neu bewerten. Nur indem wir unsere vergangenen Filmkulturen intensiv studieren und im kulturellen Gedächtnis der Nation verankern, lässt sich die weit verbreitete intellektuelle Hilflosigkeit gegenüber der nahenden Bilderflut überwinden. Das Geld der Steuerzahler und Sponsoren zur Finanzierung dieses unsere kulturelle Identität bewahrenden Vorhabens sinnvoll einsetzen heißt, wie Archivarinnen und Archivare denken: Nicht in Legislaturperioden, sondern in Jahrhunderten.

 

Zugang und Sicherung sind unterschiedliche Aufgabenbereiche, die unterschiedliche Lösungen verlangen.

 

1. Zugang

Die in der Petition www.filmerbe-in-gefahr.de enthaltene Forderung, das Filmerbe zügig zu digitalisieren, zielt zunächst auf das Sichtbarmachen und systematische Erfassen der verstreuten Bestände durch ihre Digitalisierung und ihre Kategorisierung in einem gleichzeitig zu erstellenden zentralen Bestandskatalog. Um einen breiten Zugang zum Film-Erbe zu schaffen, schlagen wir vor, diese Digitalisierung aus Kostengründen unterhalb der qualitativ hochwertigen 4K- und 2K- Kino-Norm in HD durchzuführen, die relativ kleinen Dateien auf Blue-Ray-Discs zu speichern und sie als Ansichtskopien in den digitalen Bibliotheken der Archive und, so weit es die Rechtslage zulässt, mit Signet und Kopierschutz versehen, auch im Internet allen Interessierten zugänglich zu machen.( z.B. auf www.filmportal.de ) Die aufwändigere und kostenintensivere systematische Sicherung des Filmerbes, bei der digitale und analoge Verfahren zusammenwirken, ist ein davon unabhängiger Arbeitsprozess, der aber betriebswirtschaftlich nur Sinn macht, wenn alle daran Beteiligten die Bestände und deren Kategorisierungen auch kennen. Die von Archiven und Stiftungen vorgeschlagene „Digitalisierung on Demand”, die Zugang und Sicherung in einem Junktim verknüpft, wird dagegen den aktuellen Missstand nur fortschreiben und verschärfen. Nach diesem Geschäftsmodell werden neben Dokumentarmaterial für TV- Verschnitte gerne bekannte Filmklassiker wie Metropolis und Caligari auf der Grundlage nicht kategorisierter Ausgangsmaterialien mehrfach digitalisiert, ohne dass diese Entscheidungen generell vor einem Gremium aus Fachleuten verantwortet werden müssen. Die Folge ist: Was keine Lobby hat, verschwindet. Ein signifikantes Beispiel für den Erfolg von Lobby-Arbeit ist übrigens die „Digitalisierung on Demand“ von 1.500 Filmen der Nationalen Volksarmee, die uns nun als kulturelles Erbe zur Verfügung stehen.

Nur das systematische Aufarbeiten und Kategorisieren der Bestände, ihre radikale Neubewertung als „Work in Progress“, kann den Zugang zum gesamten Filmerbe auf Dauer offen halten, den Blick auf das Originalmaterial und dessen Erhaltung fokussieren, minderwertige analoge Kopien und Sicherungspakete in die hinteren Regale verbannen und für alle beteiligten Institutionen einen klar strukturierten Arbeitsablauf konstituieren. Unsere zentrale Forderung beinhaltet daher: Erstens die Dokumentation des Filmerbes in der Form eines dem der Deutschen Nationalbibliothek vergleichbaren Bestandskataloges und zweitens seine Visualisierung durch eine Digitalisierung auf bezahlbarem technischen Niveau. Beides kann nur in einem Arbeitsgang und in enger Kooperation als gemeinsame prioritäre Aufgabe aller deutschen Archive gemeistert werden.

 

2. Sicherung

Zur Sicherung sollten – so lange dafür noch Knowhow, Technik und Filmmaterial zur Verfügung stehen – so viele relativ preiswerte analoge Duplikat-Kopien auf Polyesterfilm gezogen werden, wie möglich. Dazu werden die noch existierenden Film-Bearbeitungs-Betriebe mit herangezogen. (In Frankreich fordert das „Centre National du Cinéma“ ( CNC) von allen Rechteinhabern, die einen Zuschuss zum Digitalisieren erhalten, für Archivzwecke die Hinterlegung einer analogen Kopie auf Polyesterfilm.) In unseren Archiven lagern aber auch vom chemischen Zerfall akut bedrohte Filme, die dringend restauriert und mit einer 2K/4K- Digitalisierung gerettet werden müssen. Wenn wir archivalisch sinnvoll „nicht für Legislaturperioden sondern für Jahrhunderte“ sichern, werden von diesen digitalen Dateien zur Langzeit-Sicherung (für mindestens 500 Jahre) wiederum analoge SW-Kopien auf Polyesterfilm gezogen. Farbiges Ausgangsmaterial sollte dabei in der Form von  je 3 SW-Farbauszügen (RGB) + 1 Tonnegativ archiviert werden. Von diesem analogen Langzeit-Archivmaterial lassen sich zur Auswertung „on Demand“ auch in einer sehr fernen Zukunft noch Filme in den dann aktuellen Datenformaten redigitalisieren. Diese Art der Archivierung wird in den USA von den Filmarchiven der Majors bereits seit über dreißig Jahren praktiziert. Sie ist, so lange es noch keine archivfesten digitalen Speicher gibt, die zur Zeit einzige Möglichkeit, das Filmerbe ohne Furcht vor Stromausfall, elektromagnetischer Strahlung, Hackern, obsoleter Codierung oder fehlendem Personal langfristig zu sichern. Wir dürfen die notwendigen Entscheidungen zur Digitalisierung akut gefährdeter Filme nicht weiter hinauszögern. Dabei handelt es sich vor allem auch um Tri-Azetat-Filme aus der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, die bereits mit Vorschäden im Bundesarchiv eingelagert wurden und deren chemischer Zerfall dort infolge nicht korrekter Lagerbedingungen weiter fortgeschritten ist. In der ersten arbeitsintensiven Phase des langwierigen Prozesses der Visualisierung und Katalogisierung des Filmerbes sollte sich die Sicherung auf jene Filme beschränken, die sich als „akut gefährdet“ herausstellen und daher Not-digitalisiert werden müssen.

 

3. Lagerung

Alle archivfesten Film-Kopien auf Polyester-Basis werden ohne Ausnahme zur  Langzeitsicherung im Bundesarchiv/Film eingelagert, während die Archivierung der digitalen Filmoriginale und -Kopien in die Obhut von Firmen übergeht, die auf Datenspeicherung spezialisiert sind. Archivalisch wäre es sinnvoll, diese Datensätze in mehreren Kopien auf verschiedene Rechenzentren zu verteilen. Das Bundesarchiv/Film bewahrt eine komplette, voll funktionsfähige, analoge Film-Bearbeitungs-Technik mit Kopierwerk, Scannern, Laser- Ausbelichtern, etc. und hält sie instand. Digital hergestellte Filme, bei denen Wert auf eine Langzeitsicherung gelegt wird, können, bis archivfeste digitale Speichermedien zur Verfügung stehen, ebenfalls in der Form von schwarzweißen Farbauszügen im Bundesarchiv/Film hinterlegt werden.                                                                                                                                Die internationalen Standards für die Lagerung von historischem Filmmaterial gelten in allen deutschen Filmarchiven. Dort müssen die Vorschriften, die die Klimabedingungen in den Film-Bunkern regeln, unbedingt befolgt werden – wie auch die ethische Konvention der FIAF, die ihren Mitgliedern das Vernichten von Nitro-Filmen verbietet, solange diese noch lagerfähig sind.

Helmut Herbst, im April 2014

Wer den Beitrag gerne als PDF herunterladen möchte, kann dies hier tun.

Es folgt ein Glossar , das einige der verwendeten Begriffe erklärt.

Glossar

Dies Glossar soll auf unkonventionelle Weise vor allem die in unseren Texten akzentuierten Begriffe erläutern und verzichtet auf Vollständigkeit. Wir verweisen dafür auf das von der Technischen Kommission der FIAF herausgegebene „Glossary of Film Technical Terms“: http://www.FIAFnet.org/publications/GlossaryMasterCombo17.htm

 

Archivfeste Speichermedien

sind physikalisch und chemisch stabile Trägermaterialien für analoge oder digitale Informationen, die so beschaffen sind, dass in ihnen unter anderem keine chemischen Stoffe enthalten sind, die einen chemischen Zerfall während der Langzeit-Lagerung bewirken können, wie z. B. säurefreie Papiere für Zeichnungen, Bücher und Fotografien. Sie sind in der Lage, über viele Jahre, möglichst Jahrhunderte, und unter einfachen Lagerbedingungen die auf ihnen gespeicherten Informationen verlustfrei zu bewahren. Das lässt sich von den als Trägermaterial für Filme verwandten frühen Kunststoffen Nitrozellulose (Celluloid) und Azetat nicht behaupten. Je nach Fabrikations- und Lagerbedingungen lösen die in ihnen enthaltenen Chemikalien früher oder später Zerfallsprozesse aus, die ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr zu stoppen sind. Auch die in die Fotoschicht eingebetteten Farbpigmente bleichen mit der Zeit aus. Eine aufwändige Lagerung bei stark reduzierter Luftfeuchte, guter Kühlung und Belüftung, vermag die Lebensdauer dieser historischen Filme drastisch zu verlängern. Dagegen schreibt man Schwarzweiß-Filmen auf Polyester-Unterlage eine Lebenserwartung von 500 bis 1000 Jahren zu. Dies archivfeste Speichermedium verträgt auch einfachere Lagerbedingungen. Für die Speicherung großer digitaler Dateien hingegen, wie sie für hochauflösende Filme benötigt werden, ist ein chemisch und physikalisch stabiles Speichermedium noch nicht verfügbar. Solche Dateien werden auf Magnetbändern oder Festplatten gespeichert und müssen, um Datenverluste zu vermeiden, in Intervallen von wenigen Jahren regelmäßig kontrolliert und erneut überspielt, „migriert“, werden. Man schätzt die Mehrkosten, die bei der Archivierung digitaler Speichermedien entstehen, auf das zehn- bis zwölffache des bei einer Archivierung auf analogen Polyesterfilmen zu erwartenden finanziellen Aufwands. Helmut Herbst (HH)

 

Azetat-Film

in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde der leicht entflammbare und sich unter falschen Lagerbedingungen selbst entzündende Zelluloidfilm in der professionellen Filmproduktion vom sogenannten „Safety-Film“ abgelöst, der unter Hitzeeinwirkung lediglich schmilzt aber nicht mehr wie Zelluloidfilm (Nitrozellulosefilm) in einem nicht löschbaren Feuer explosionsartig verbrennt. Der Kunststoff Tri-Azetat, der z. B. seit 1951 allen Kodak- Emulsionen als Träger diente,  hatte in der Form von Di- Azetat bereits ab 1912 einen „Safety“- Vorläufer im 28mm- Amateur- Film der Fa. Pathé. Auch die 9,5mm- (Pathé 1922) und 16mm- (Kodak 1923) Schmalfilme benutzten Di-Azetat. Die professionelle Filmproduktion jedoch lehnte bis in die fünfziger Jahre den „Safety“-Film ab, weil er die mechanische Robustheit und die optische Brillanz des Zelluloids nicht erreichte. Die alten Nitrozellulosefilme können bei guter Kühlung, ausreichender Belüftung und reduzierter Luftfeuchtigkeit eine Lebenserwartung von bis zu 500 Jahren haben.

Dagegen erreichen 8mm- und 16mm- Amateurfilme, Fotonegative, Magnet- und Mikrofilme, d.h. alle Film-Negative auf Tri-Azetat- Basis und deren Kopien in Farbe oder Schwarzweiß, die in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts entstanden sind, eine garantierte Haltbarkeit von lediglich 44 Jahren. Und das auch nur, wenn sie in einfach klimatisierten Räumen lagern, das heißt bei einer Raumtemperatur von 20 Grad Celsius und 50% Luftfeuchte. Jenseits dieser vom Image Permanence Institute (IPI) ermittelten Mindesthaltbarkeit beginnt das unkalkulierbare Risiko. Manche Tri-Azetat- Filme gehen dann durch einen chemischen Zersetzungsprozess, das Vinegar-Syndrome (Essigsäure- Syndrom), unwiederbringlich verloren, andere leben noch mehrere Jahrzehnte unbeschädigt weiter. Das ist von verschiedenen Faktoren bei der Herstellung des Filmmaterials und seiner Weiterverarbeitung in den Kopierwerken abhängig. HH

Blue-Ray (BD) im Vergleich mit 2K/4K Digital-Cinema-Dateien (DCP)

Die Blue-Ray-Disc (BD) speichert mit dem Code H.264 (MPEG-4 AVC) oder in den Formaten VC-1 oder MPEG-2 stark komprimierte Bildinhalte mit einem violetten Laser auf Kunststoffscheiben in DVD-Größe. Die Anzahl der Pixel beträgt in der Bild- Breite 1920, in der Bild-Höhe 1080. Werden Filme im Format 4:3 abgetastet, verringert sich die Anzahl der Pixel in der Bild-Breite auf 1440, d.h. links und rechts des klassischen „Academy“-Filmformats erscheinen auf dem 16:9 Fernsehmonitor schwarze Balken. Für die digitale Kino-Projektion nach der Norm des amerikanischen DCI-Gremiums haben D-Cinema-Dateien im 2K-Format eine Auflösung von 2048 x 1080 Pixel. Auf den ersten Blick ist diese Auflösung nur unwesentlich höher als die einer Blue-Ray-Disc. Aber D-Cinema-Dateien werden als einzelne Frames im JPEG 2000-Format gespeichert, während Blue-Ray-Dateien nur Keyframes und die jeweiligen Veränderungen abspeichern. Außerdem besitzt eine D-Cinema-Datei (DCP/Digital Cinema Package) eine erheblich größere Farbtiefe und eine höhere Abtastrate. Für den normalen Kinozuschauer ist jedoch auf der Kinoleinwand zwischen beiden Formaten kaum ein Unterschied festzustellen. Das führt dazu, dass immer mehr Kinos mit einem FullHD-Beamer Blue-Ray-Discs projizieren und diese wie D-Cinema- Dateien mit dem Verleiher abrechnen. In absehbarer Zeit ist jedoch damit zu rechnen, dass die meisten Kinos auf die Projektion von D-Cinema-Dateien im 4K- Format (4096 x 2160 Pixel) umrüsten. Das 2K-Format ist höchst wahrscheinlich nur eine Übergangslösung. Die Hersteller geben den Blue-Ray-Discs eine Lebensdauer von 30 bis 50 Jahren und, falls sich neuartige Beschichtungen durchsetzen, auch noch weit darüber hinaus. HH

 

Duplikatfilme

z.B: ORWO Duplikat-Positivfilm DP 31
(Produktbeschreibung der Fa. Filmo Tec GmbH, Bitterfeld-Wolfen, Special Films 2011)

Der ORWO Duplikat-Positivfilm DP 31 dient zur Herstellung von Zwischenpositiven (Masterpositiven). Auf Grund seiner panchromatischen Sensibilisierung eignet sich der Film nicht nur für die Anwendung im Schwarzweiß-Dup-Prozess, sondern er kann auch für die Herstellung tonwertrichtiger Schwarzweiß-Duplikat-Positive von Color-Negativen eingesetzt werden.                                                 Die herausragenden Merkmale dieses Filmtyps sind sein ausgezeichnetes Auflösungsvermögen und seine außerordentliche Feinkörnigkeit. Die neuartige, sich im Entwicklungsprozess entfärbende Reflexionslichthofschutzschicht garantiert höchste Schärfe und ermöglicht den Einsatz von klarer Polyesterunterlage. Damit wird modernen Anforderungen an eine Langzeitlagerung entsprochen.

ORWO Duplikat-Negativfilm DN 21

Der ORWO Duplikat-Negativfilm DN 21 dient zur Herstellung von Schwarzweiß-Duplikat-Negativen. Auf Grund seiner panchromatischen Sensibilisierung eignet sich der Film nicht nur für die Anwendung im Schwarzweiß-Duplikatprozess, sondern er kann auch zur Herstellung tonwertrichtiger Schwarzweiß-Duplikat-Negative von Farbpositiven eingesetzt werden. Die ausgezeichneten fotografischen und physikalischen Eigenschaften des DN 21 ermöglichen die Herstellung von Schwarzweiß-Kopien bester Qualität. Infolge seiner Polyesterunterlage ist der ORWO DN 21 prädestiniert für Langzeitlagerungen in den Archiven. ORWO / FILMO TEC GmbH

 

Farbauszüge (YCM/ RGB)

Dass die Film- Bibliotheken der Majors in den USA für die Langzeitsicherung historischer Filme auf die klassische Technik der Farbauszüge setzen, lässt sich auch mit der langen erfolgreichen Tradition der Technicolor-Technik erklären. Um von den berühmten Technicolor-Streifen z.B. aus den dreißiger Jahren neue Farbkopien herzustellen, bedarf es keiner aufwändigen Farbrestaurierung wie bei den später eingeführten Mehrschichtenfarbfilmen von Kodak oder Agfa, deren in die Gelatineschicht eingelagerte Farbpigmente chemisch instabil sind; denn als Ausgangsmaterial dienen die bei optimalen Lagerbedingungen über 80 Jahre nahezu im Originalzustand erhaltenen Farbauszüge auf Schwarzweißfilm, die sogenannten „YCM‘s“. Sie entstanden beim Dreh mit der klobigen Technicolor- Kamera, in der drei gleichzeitig durch die Kamera laufende Schwarzweißfilme – eben jene „YCM‘s“ –  mit der Hilfe farbiger Filter belichtet wurden. In späteren Jahren ließen sich auch von einem farbigen Mehrschichtnegativ der Hersteller Kodak, Agfa, Fuji, etc. auf einer Greifer-Kopiermaschine (Step-Printer) mit entsprechender Filterung nachträglich drei Farbauszüge auf Schwarzweißfilm erzeugen. Dafür benutzte man panchromatischen Positiv- Duplikat-Film, z. B. Eastman-Separation-Film.  Der klassische Technicolor-Dye- Transfer- Kopierprozess, der dem Offset-Druck ähnelt und mit der Hilfe von 3 Matrixfilmen die Filmframes auf Blankfilm druckt, ist wie dieser subtraktiv und benutzt den Farbraum Yellow, Cyan und Magenta (YCM). Seit dem Auslaufen der Dye-Transfer-Technik werden moderne Farbauszüge von analogen Ausgangsmaterialien mit Step-Printern und von digitalen Dateien mit ARRilasern zur Langzeitsicherung auf Polyesterfilm ausbelichtet. Für den additiven Farbraum kommen rote, grüne und blaue Farbfilter zum Einsatz (RGB). Zur Re-Digitalisierung der Farbauszüge (Separation-Master) wird meist ein ARRiscan benutzt. Dieser Prozess ist sehr kostspielig, da aber für die fragile digitale Archivierung mehr als das Zehnfache der Kosten einer konventionellen Filmarchivierung aufgebracht werden muss, macht er sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte bezahlt. HH

 

FIAF – Code of Ethic (excerpt)

Film archives and film archivists are the guardians of the world’s moving image heritage. It is their responsibility to protect that heritage and to pass it on to posterity in the best possible condition and as the truest possible representation of the work of its creators.

Film archives owe a duty of respect to the original materials in their care for as long as those materials remain viable. When circumstances require that new materials be substituted for the originals, archives will retain a duty of respect to the format of those originals.

Film archives recognise that their primary commitment is to preserve the materials in their care, and – provided always that such activity will not compromise this commitment – to make them permanently available for research, study and public screening.

The following are specific statements of these general principles:

1. The Rights of Collections:

1.1. Archives will respect and safeguard the integrity of the material in their care and protect it from any forms of manipulation, mutilation, falsification or censorship.

1.2. Archives will not sacrifice the long-term survival of material in their care in the interests of short-term exploitation. They will deny access rather than expose unique or master material to the risks of projection or viewing if the material is thereby endangered.

1.3. Archives will store material, especially original or preservation master material, in the best conditions available to them. If those conditions fall short of the optimum, archives will strive to secure better facilities.

1.4. When copying material for preservation purposes, archives will not edit or distort the nature of the work being copied. Within the technical possibilities available, new preservation copies shall be an accurate replica of the source material. The processes involved in generating the copies, and the technical and aesthetic choices which have been taken, will be faithfully and fully documented.

1.5. When restoring material, archives will endeavour only to complete what is incomplete and to remove the accretions of time, wear and misinformation. They will not seek to change or distort the nature of the original material or the intentions of its creators.

1.6. When providing access to material by programming, projection or other means, archives will seek to achieve the closest possible approximation to the original viewing experience, paying particular attention (for example) to the appropriate speed and the correct aspect ratio.

1.7. The nature and rationale of any debatable decision relating to restoration or presentation of archive materials will be recorded and made available to any audience or researcher.

1.8. Archives will not unnecessarily destroy material even when it has been preserved or protected by copying. Where it is legally and administratively possible and safe to do so, they will continue to offer researchers access to nitrate viewing prints when asked to do so for as long as the nitrate remains viable.

The International Federation of Film Archives (FIAF) brings together institutions dedicated to rescuing films both as cultural heritage and as historical documents. FIAF

 

Film- Scanner

z. B. ARRIscan, Informationen in einem FIlmbeitrag  “ARRISCAN archive developments at IBC 2010” auf YouTube

http://www.youtube.com/watch?v=vvd5WiIZjow  ARRI

 

HDTV

High Definition Television. A television standard (or set of standards) for High Definition, generally accepted as720-line and upward, with a picture aspect ratio of 16:9. 720×1280 and 1080×1920 are the most common. (1080×1920 = Full HD) FIAF Glossary

 

Klima- Bedingungen für die Film- Archivierung

Schichtträger: Triazetatzellulose oder Polyester („Sicherheits-„, „Safetyfilm”):  Archivische Sicherungsmedien und Master

Farbe:                             Temperatur:  – 6°C,    Luftfeuchte: 30% rel.H.

Schwarz/weiß:              Temperatur: +12°C,   Luftfeuchte: 50% rel.H.

Magnetband:                Temperatur: +12°C,   Luftfeuchte: 50% rel.H.

Schichtträger: Nitrozellulose (Celluloid):

Temperatur:  +6°C     Luftfeuchte: 50% rel.H.

Toleranz: +/- 2 °C;  +/-5% RH  (Relative Humidity)

Im Unterschied zu Magazinen, in denen Schriftgut aufbewahrt wird, muss Filmmaterial nicht nur klimastabil gehalten, sondern dauerhaft entlüftet werden, um entweichende Gase abzuführen. Bundesarchiv/Film

 

Langzeitsicherung

Versuch einer Kostenschätzung für eine Langzeitsicherung der Bestände des Bundesarchivs/Film

Nehmen wir einmal an, von den 150.000 Titeln im Bundesarchiv wären 75.000, also die Hälfte des Bestandes, langfristig zu sichern. Nehmen wir weiter für diese 75.000 Titel eine durchschnittliche Länge von 1 Stunde pro Titel an (bei Berücksichtigung von Kurz- Dokumentar- und Werbefilmen). Davon könnten 25.000 Stunden durch eine preiswerte analoge Kopierung auf Polyesterfilm gesichert werden, 35.000 Stunden durch Echtzeit- Digitalisierung (50% 4 K / 50% 2 K/ Grading/ Bildbearbeitung/ Tonrestaurierung/ Anfertigung von DCDM / DCP- Mastern), 15.000 Stunden durch Scanning im Archivmodus (mit ARRIscan , Nassfenster, d.h. 1 Bild pro sec./ 2 K/ Grading/ Bildbearbeitung/ Tonrestaurierung/ Anfertigung von DCDM/ DCP-Mastern). Bei dieser sehr groben Kostenschätzung, die sich an den aktuellen Preisen und an Kalkulationen der Filmbearbeitungsbranche orientiert, betragen die Kosten für die Digitalisierung ca. 450 Mio. bis 800 Mio. Euro. Wenn am Ende für die Farbfilme eine Ausbelichtung mit Separation-Mastern als Langzeitsicherung steht, erhöht sich die Summe auf etwa 1,5 Mrd. bis maximal 2,0 Mrd. Euro. In diesen Summen sind die Kosten für eine manuelle Restaurierung der Originale vor ihrer Digitalisierung nicht berücksichtigt. Es scheint realistisch, für diese Sicherungs-Kampagne einen Zeitraum von 24 Jahren à z.B. 3 Finanzierungs-Perioden von je 8 Jahren zu kalkulieren. HH

 

LTO

LTO (Linear Tape Open) ist eine Spezifikation für ½-Zoll-Magnetbänder und die entsprechenden Bandlaufwerke. Sie wurde von IBM, HP und Seagate als Gemeinschaftsprojekt erarbeitet. Mit dem Aufkauf von Seagates Geschäftsbereich für Magnetbänder durch Quantum ist Quantum in der LTO-Allianz an die Stelle von Seagate getreten.

Eine Besonderheit von LTO ist, dass es von Anfang an nicht als Lösung eines einzelnen Herstellers geplant war. So werden heute von über 30 Herstellern und fast allen Robotikherstellern,  Autoloadern und Libraries Magnetbänder für LTO angeboten. Diese werden vom Urheberkonsortium zertifiziert. Neben dessen Mitgliedern produziert nur noch Tandberg Data auch die Bandlaufwerke.

Ursprünglich war geplant, die beiden Formate LTO-Ultrium und LTO-Accelis zu etablieren. Während Ultrium für die Datensicherung vorgesehen war, sollte Accelis der Archivierung dienen. Accelis sollte daher einen wesentlich schnelleren Zugriff auf einzelne Dateien ermöglichen. Es ist jedoch nie über das Entwicklungsstadium hinausgekommen und wurde vor der Markteinführung wieder verworfen. Zur Marktreife geführt wurde letztlich nur LTO-Ultrium.

Eine weitere Besonderheit von LTO ist, dass von Anfang an ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess geplant war. Alle zwei Jahre soll eine neue Generation von Produkten auf dem Stand der Technik angeboten werden, bei denen die Bandkapazität verdoppelt und die Datentransferrate ebenfalls verdoppelt oder zumindest um 50 % erhöht ist. Laufwerke können auch Bänder der vorigen Generation verarbeiten und Bänder der vorletzten Generation zumindest lesen. Seit der Generation 4 ist das LTO-Konsortium etwas in zeitlichen Verzug geraten. Derzeit ist LTO-Ultrium in den Generationen 1 bis 6 erhältlich. Wikipedia

 

Nitro-Filme (Nitrozellulosefilm/Zelluloid)

„Nitrofilm” bezeichnet umgangssprachlich Filmmaterial, dessen Schichtträger auf Zellulosenitratbasis aufgebaut ist. Zellulosenitrat (auch Nitrozellulose oder Zellhorn genannt) ist aufgrund der chemischen Zusammensetzung bereits autokatalytisch, eine zersetzliche Substanz. Der Zersetzungsprozess wird durch hohe Temperatur und Luftfeuchtigkeit beschleunigt, während er unter günstigen Lagerbedingungen über viele Jahre verzögert, aber nicht gänzlich aufgehalten werden kann. Bei der Zersetzung entwickeln sich nitrose Gase. Sie sind schwerer als Luft und sinken demzufolge zu Boden. Sie weisen außerdem beißenden, stechenden Geruch auf und sind außerordentlich giftig. Nitrofilm ist schon im unzerstörten Zustand höchst feuergefährlich, da die Zellulosenitratbasis dem Grundstoff des rauchschwachen Schießpulvers, der Schießbaumwolle ähnelt. Einmal in Brand geratene Nitrofilme sind nicht löschbar, weil beim Verbrennungsvorgang Sauerstoff freigesetzt wird. Er lässt das Feuer selbst dann weiterbrennen, wenn ihm der Luftsauerstoff durch herkömmliche Löschmethoden wie Wasser, Schaum oder Sand entzogen wird. Frischer Nitrofilm entzündet sich bei ca. 130°C und brennt sehr schnell ab. Da sich bei der Zersetzung fast ausschließlich gasförmige Stoffe bilden, besteht Explosionsgefahr. Im letzten Stadium der Zersetzung kann sich der Film schon unterhalb von 40°C entzünden. In der DDR verwendete die Filmfabrik Wolfen Zellulosenitrat als Schichtträger für Kinefilme bis in die 1960er Jahre. In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Verwendung 1957 gesetzlich verboten. Der nachfolgende sog. Sicherheits- oder Safetyfilm kategorisiert verschiedene, weniger feuergefährliche Schichtträger, die aber gleichwohl chemischen Zersetzungserscheinungen unterliegen können.  Bundesarchiv/Film

 

Vinegar- Syndrome

Azetat-Materialien, vor allem auch die frühen Magnetfilme (Perfobänder), werden bei höheren Temperaturen und erhöhter Luftfeuchtigkeit vom Schimmel und dem ansteckenden Vinegar-Syndrome (Essigsäure-Syndrom) befallen. Man kann es deutlich riechen. Gegen diesen Zerfallsprozess (Hydrolyse) gibt es, wenn er sein letztes Stadium erreicht hat, kein Gegenmittel. Er führt garantiert zur völligen Zerstörung des Materials. In einem frühen Stadium lassen sich die befallenen Filme noch Not-digitalisieren. Azetat-Filme haben unter einfachen Lagerbedingungen, d.h.  bei einer Raumtemperatur von 20 Grad Celsius und 50% Luftfeuchte, eine garantierte Lebenserwartung von nur 44 Jahren. Jenseits dieser vom Image Permanence Institute (IPI) ermittelten Mindesthaltbarkeit beginnt das unkalkulierbare Risiko. Manche Azetat-Filme gehen dann unwiederbringlich verloren, andere leben noch mehrere Jahrzehnte unbeschädigt weiter. Schon zehn Jahre nach der Einführung des Triazetat-„Safety“-Films gab es zu Beginn der sechziger Jahre aus Indien die ersten Berichte über das Auftreten des Filmkopien vernichtenden Vinegar-Syndromes. Zehn Jahre Haltbarkeit –  das entspricht auf der Skala des vom IPI herausgegebenen Preservation- Calculators einer Luftfeuchtigkeit von 80% und einer Lagertemperatur von 26 Grad Celsius. Bei 20 Grad Celsius und 50% Luftfeuchte erreichen Azetat-Filme immerhin eine Mindeshaltbarkeit von 44 Jahren, moderne Schwarzweißfilme auf Polyester- Basis halten mindestens 500 Jahre. Auf den Dachböden und in den Abstellkammern, Kellern und Garagen der Filmproduzenten und Filmmacher, die ihre Werke immer noch zu Hause aufbewahren, werden 20 Grad Celsius und 50% Luftfeuchte oft überschritten. Für alle privaten Film-Horter ist daher eine Kontrolle ihrer Altbestände mit der Nase oder eigens dafür entwickelter Teststreifen dringend angesagt.    HH 

 


Dank an:  Eva Orbanz, Harald Brandes, Stefan Drößler, Klaus Kreimeier, Olaf Legenbauer, Bernd Upnmoor.

 

Herbst_HelmutZum Autor: Der Filmemacher Helmut Herbst ist emeritierter Professor der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und als Filmhistoriker z. B. durch seine Arbeiten und Filme zur Geschichte der Filmtechnik, zur Avantgarde, über Guido Seeber und zur Frühgeschichte des Films bekannt.
 
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